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Hans-Jörg Dost • Autor in Dresden
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Leseproben • Drama


 
 

aus: Der Stern

Spiel fürs Theater
 
Personen:
KAS, BALT, MELE, ECKE ; zwei Marodeure, fremder Mann, fremde Frau, fremdes Kind
Die Bühne:
Ein steiler Weg, auf dem früher die Dumper gefahren sind, führt im Halbkreis herunter an den Rand der Wasserfläche einer aufgelassenen Kiesgrube. Dort befindet sich - auf einer Art Landzunge - ein ramponierter, aber noch benutzbarer Campingwohnwagen. Über eine Sandwelle kann man von hier auch nach hinten zum Wasser gehen.
Am oberen Grubenrand steht ein leeres Transformatorenhäuschen mit ausgerissener Tür. An den Isolatoren hängen die Reste einer abgeschnittenen Leitung, die von irgendwoher kommt, aber offensichtlich zu nichts mehr führt.
 
( 1 a )
 
KAS (auffallend korrekt gekleidet) - betritt schwitzend die Bühne. Mit Reisetasche und Rucksack beladen kommt er den Fahrweg herab. Unten angekommen besichtigt er das Geländestück, öffnet schließlich mit einiger Mühe den Wohnwagen, schaut hinein, legt sein Gepäck ab und verschwindet darin.
Nach einer Weile kommt er mit einem Kofferfernsehgerät heraus. Er stellt es auf die Erde, säubert es flüchtig und stellt es ungläubig an: Es funktioniert. Er stellt es laut, leise, laut: Eine Unterhaltungssendung.
KAS klettert noch einmal in den Wohnwagen hinein; er holt einen kleinen Stapel der bekannten weißen Einheitsplastiksessel heraus, säubert einen von ihnen, stellt ihn vor dem Fernsehgerät auf und setzt sich hinein.
Das TV-Programm gefällt ihm offensichtlich nicht: Er ändert es mehrfach: Sport. Nachrichten. Naturfilm. Humorsendung...
Schließlich erhebt er sich und versetzt dem Gerät einen wohlabgewogenen Tritt. Er hält sich den Fuß, verfolgt jedoch mit einem gewissen Interesse den Flug. Nun schlägt das Gerät auf ein Wasser, das man nicht sieht. Sobald es untergegangen ist, nimmt KAS: wieder im Sessel, den er gesäubert hat, Platz und rückt sich in die Sonne.

KAS:(schnuppert die Luft) Es stinkt.
KAS:(räkelt sich zurecht und schläft ein)
BALT(tritt nach einer Weile oben am Grubenrand auf. Er ist betont lässig gekleidet und zieht einen Handwagen, in dem sich ein Kasten Bier sowie die nötigsten Utensilien befinden. Behutsam führt er sein Gefährt hinab zum Wohnwagen. Vor dem schlafenden KAS hält er an und betrachtet diesen.)
KAS:(erwacht und betrachtet nun seinerseits den Neuankömmling. Nach einer kleinen Weile gegenseitigen Betrachtens sagt er) Jetzt kommen sie. (wieder nach einer Weile , scharf) Und das war'n se.
BALT:Gott. Und ich dachte, ich bin irgendwo mal allein.
KAS:Allein sein willst du? Dann stirb.
BALT:Ich glaube, ich kenn dich. Irgendwoher.
KAS:Mich haben viele gekannt. Ich kenne mich nicht.
BALT:Da denke ich: Hier im Kiesloch, da bin ich allein. Und dann hockst du da. Ich kenne dich. Weiß nur nicht, woher.
KAS:Solange du auf der Erde nach einem freien Platz suchst, suchst du immer vergeblich. Es hockt überall schon immer einer. Oder eine. - Hase und Igel.
BALT:Es gab einen Forscher, einen Gelehrten, der fand ein Tal - irgendwo in den Anden - das hatte vor ihm noch keiner entdeckt. Dort ist er hin. Sie haben ihn vermisst, aber sie wussten nicht, wo sie suchen sollten. Dort war er dann. Ganz allein. N i e m a n d anderer war dort. Weil: Niemand wusste, dass es dort ein Tal gibt.
KAS:Dann ist seine Frau auf seinem Schreibtisch auf einen Zettel gestoßen. Auf verlassenen Schreibtischen bleibt immer etwas liegen, wenn man nicht acht gibt. Kollegen haben ihn analysiert. Und eines Tags - eines bösen - erschien über dem Talschlund - frrrrr - ein Helikopter und hat ihn gefunden. Es ist immer dasselbe. Nur hier kam der Igel ein klein wenig später.
BALT:Du kennst die Geschichte?
KAS:Ich hab sie erfunden.
BALT:Gerade eben?
KAS:Gerade jetzt.
BALT:Das glaub ich dir nicht. Ich kannte sie doch schon vor dir.
KAS:Es ist keine Kunst, den Schluss einer Geschichte zu erfinden, wenn sie so anfängt, wie du sie erzählst. Solche Geschichten gehn immer so aus.
BALT:Du hast Helikopter gesagt. Wieso sagst du nicht einfach Hubschrauber? Wie alle normalen Menschen. Ich kannte mal einen, der hat auch nie die deutschen Wörter gesagt. Warte nur ab. Ich finde heraus, woher ich dich kenn.
KAS:In den Anden sagt niemand Hubschrauber. Dort sagen sie immer alle: Helikopter.
BALT:Immer. - Du sagst immer "immer". Und dann nennst du die deutschen Wörter nicht ...
KAS:Du hast einen gekannt - möchte ich wetten - der hat immer "immer" gesagt!
BALT:Ich bin mir nicht sicher.
KAS:Du willst mich kennen? Kannst du nicht. Wüßte gar nicht, woher.
BALT:Das Blatt hat sich gewendet. Auch deine Stunde, Kumpel, schlägt.
KAS:Deine hat wohl schon lange geschlagen?
BALT:Meine schlägt "immer". Aber nun kommt die, in der ich zurückschlag. Verlaß dich drauf. - Ich wollte weiterziehn. Aber jetzt bleib ich. Ich kriege raus, wer du bist.
KAS:Ich kann dich nicht hindern. Angenehmer wärs mir, du würdest dich ein Stück verziehn. Aber mir gehört nicht der See.
BALT:Nicht mehr, was? Solche wie du glauben doch, daß ihnen alles gehört.
KAS(mustert BALT und schweigt zunächst)
BALT:Da verstummst du glatt. Bei der Frage. Habe ich dich wohl erwischt?
KAS:Du bist so einer, schätz ich, der ist schon froh, wenn jemanden anderem nichts gehört, weil er selber nichts hat, was?
BALT:(ändert seine Taktik)'n Bier?
KAS:Im Prinzip ja, aber nicht so früh am Tag.
BALT:Also ich bin so frei.
KAS:Wenn du so frei bist...
BALT:(trinkt, dann) Warum bist'n hier draußen, ausgerechnet hier, wo jetzt jeder überallhin kann?
KAS:(ironisch) Mir gefällts hier. Dir doch auch? Sonst wärst du ja wohl woanders.
BALT:Ob mir was gefällt und warum, das geht nur mich an. Merk dir das, ja.
KAS:Dann frag nicht so blöd.
BALT:(trinkt, dann) Du meidest die menschlichen Siedlungen. Stimmts?
BALT:Habe ich mir gedacht. (trinkt genüsslich)
KAS:Na, sonst hättest du's wohl nicht gesagt. Oder willst du andeuten, daß du auch dann sprichst, wenn du nicht denkst, he, Kumpel?
BALT:(genüsslich) Laß mich kombinieren...
KAS:Niemand wird dich davon abhalten. Also kombiniere. Du hast selbst gesagt: Das ist jetzt vorbei.
BALT:Ich bekomme es schon heraus, weshalb du hier bist. (nimmt einen Schluck) Mir fällt es ein, woher ich dich kenn...
KAS:Ich warte.
BALT:He?
KAS:Ich warte.
BALT:Ach so, du wartest.
KAS:Ich weiß nicht, wieso ich es dir sage, aber ich warte.
BALT:Natürlich. - Auf wen?
KAS:Worauf.
BALT:Was heißt: worauf?
KAS:Worauf heißt nicht: auf wen.
BALT:Aha.
KAS:Nun setz dich. Oder geh. Aber steh mir nicht in der Sonne.
BALT:Diogenes oder so. Alte Traditionen, was? Wohl gebüldet?!
KAS(bettet sich aufs neue zum Sonnen. Er zieht sich einen zweiten Stuhl heran. Auf den legt er seine Füße und lässt sich nicht weiter stören.)
BALT(betrachtet ihn. Dann hebt er seinen Bierkasten aus dem Wagen und schleppt ihn zum Wasser. Anschließend schaut er in den Wohnwagen, dessen Tür offen steht. Dann wirft er seine Utensilien hinein und nimmt den dritten der Plastikstühle. Er reinigt ihn und setzt sich hinein. Da bemerkt er, dass jemand kommt.)
MELE(eine dunkelhäutige, junge Frau klettert mit Tüten, Beuteln und Netzen beladen den Abhang herab. Unten angekommen bleibt sie vor den beiden stehen und mustert sie.)
BALT:(mustert seinerseits MELE und pfeift durch die Zähne) Kapiere. Das Warten ist ja nun wohl vorbei. Was sich heutzutage so paart... - Ich verpisse mich. Keine Sorge.
MELE:Mich störst du nicht. Wenn du deinem Kumpel den Stuhl unter den Füßen wegziehst, damit ich mich draufsetzen kann, dann sind meine Ansprüche vollauf befriedigt. (Sie sieht in den Wagen, steigt hinein, hebt ihre Sachen herein. Dann rumpelt es im Wagen gewaltig : Es wird aufgeräumt.)
BALT:(erhebt sich, geht zum Wagen und schaut hinein) Du engagierst dich ja, als gehörte dir dieses Zeug.
MELE:Gehört mir auch. War nur 'ne Weile nicht hier. Könntest mir mal nen Schluck ablassen. 's ist heiß.
BALT:Kannst 'ne Flasche kriegen. Gekühlt.
MELE:Ist mir zu viel.
BALT(lässt sie trinken)
MELE:(gibt die Flasche zurück) Fass mal mit an.
MELE und BALT(hantieren miteinander. BALT steht lieber herum, sobald nichts für ihn zu tun ist, während MELE am Werk bleibt, wenn es auch nicht besonders sinnvoll erscheint, was sie tut.)
MELE:Was macht ihr denn hier draußen, jetzt, wo jeder verreist?
BALT:Wir "warten".
MELE:Ihr wartet? Ich auch. Ich warte immer, oder doch meistens. Manchmal hab ich es satt. Aber was soll man sonst tun.
BALT:Schön. Dann warten wir eben zu dritt, wenn's dir nichts ausmacht.
MELE:Und worauf?
BALT:Was heißt worauf?
MELE:Worauf wartet ihr? Wenn ihr's mir sagen wollt...
BALT:Weiß ich doch nicht.
KAS:Er weiß es nicht!
MELE:Ihr kennt euch, seid Freunde?
KAS:Freunde? Brüder sind wir! Alle Menschen sind Brüder!
BALT:Ich kenne ihn. Weiß nur noch nicht genau, woher.