Intention
Stimmen zum Werk
 
Lebensstationen
 
Ausgefragt
E-Mail:hj.dost@hotmail.de
Telefon: 0049 (0) 351 314 3514
 
Altenberger Str. 22
D-01277 Dresden
Hans-Jörg Dost • Autor in Dresden
Hörspiel
 
Theater
 
Fernsehen
 
Oratorium
 
Gedichte
 
Erzählende Prosa
 
Kinderbuch
 
Aufsatz · Essay
 
Leseproben
 
Über den Autor · Interviews
 
Lieferbare Bücher
 
Angebot
Lesungen · Vorträge
 
Verabredungen
 
Figuration
 
Zurück zur Startseite

Leseproben • Prosa


 

aus: Filla malt Berge

Seit die Hitze nach Wochen in Schwüle umschlug, ist sie für niemanden mehr zu ertragen. Nichts deutet darauf hin, dass sie sich binnen kurzem entlädt. Dieser achtundvierziger Sommer lastet schwer auf dem böhmischen Land.
Filla erreicht den Ort Peruc zur Mittagsstunde. Er lenkt seinen Skoda auf den geräumigen Dorfplatz. Kein Mensch ist zu sehen. Zwölf Uhr, doch die Glocken schweigen. Es regt sich kein Blatt. Selbst die Köpfe der neuen Machthaber auf den Plakaten wirken erschöpft.
Filla passiert die für das Dorf zu große Kirche Peter und Paul und biegt ein in den abschüssigen Teil des Platzes, der sich nach unten hin zuspitzt. Dort steht das Schloss, wo die Fillas seit Ende des Krieges wieder die Sommermonate verbringen. Auf das fährt er zu. Über allem reglos die riesigen Kronen der kaum noch Schatten spendenden Ulmen.
Die Ankunft des Wagens mit dem Prager Kennzeichen wird durchaus zur Kenntnis genommen. Hinter den geschlossenen Fenstern ist man im Bild: Der Maler ist da. Und er wird bleiben. Diesmal für immer. Keine Zeitung, kein Radio hat das vermeldet. Temno - die Zeit der neuen Finsternis herrscht. Die alte ging erst vor drei Jahren zuende. Man ist noch geübt. Da finden Nachrichten ihren Weg.
Filla stoppt den Wagen knapp vor dem offen stehenden Tor. Etwas hindert ihn daran, einfach hindurch zu fahren. Was bisher willkommener Sommersitz war, ist nun bestimmt zum Ort der Verbannung: Peruc - letzter Aufenthalt, den man dem Sechsundsechzigjährigen zugesteht. So prompt und unerbittlich, wie es nach dem Staatsstreich verordnet wurde, wird sich daran nichts mehr ändern.
Die Frau auf dem Beifahrersitz kennt ihren Mann. Sie weiß, woran er jetzt denkt.
Niemand ist zur Begrüßung gekommen. Mit Gebranntmarkten zeigt man sich nicht. Und dennoch, weiß Filla, gibt es Leute im Dorf, die werden zu ihnen halten. Er startet den Motor, fährt durch das Tor und die dreißig Meter zum Sommertrakt hin. Von nun an der einzige Wohnsitz.
Schweigend werden die Dinge verstaut, die das Ehepaar mitführen durfte. "Ruh dich aus", sagt Filla zu seiner Frau. Er selbst kommt nicht zur Ruhe. Er muss jetzt allein sein, geht vor die Tür, in den Park. Dort schlägt ihm die sengende Hitze entgegen. Deshalb lässt er bleiben, was er gewöhnlich tut nach einer Ankunft im Schloss: Er geht nicht durchs hintere Tor hinaus auf die Höhe zum Ausblick. Er schleppt sich zur nächsten im Schatten stehenden Bank. Jeder Schritt wird zur Qual. So ist er froh, dass er sitzt. Doch auch im Schatten ist es nicht kühl. Die drückende Schwüle nimmt ihm die Luft. Er öffnet das Hemd, legt die Arme auf die Rückenlehne der Bank und zwingt sich zu regelmäßigem Atmen. Heute hat er keinen Blick für die Bäume, achtet er nicht auf das vertrocknete Grün. Er starrt vor sich hin, ist gebannt von dem, was ihm widerfuhr.
Zweieinhalb Nachkriegsjahre! Nicht ohne Not und doch eine Zeit voller Hoffnung und Aufbruch. Er hat Buchenwald überlebt, war wieder zuhause bei Frau und Beruf! Die Folgen der Lagerhaft setzten ihm weniger zu als erwartet. Die wiedergewonnene Freiheit drängte ihn wie alle, die aus dieser Hölle zurückkehren durften. Was die Okkupation unterbrochen hatte, musste fortgesetzt werden. Eine Stimmung kam auf, die suggerierte, all das Versäumte ließe sich schnellstens begleichen. Sie riss jeden mit.
Vom jungen Staat hatte er sich gern in die Pflicht nehmen lassen. Er, der Meister des Tschechischen Kubismus - wieder anerkannt als der, der er war. Eine Professur an der revitalisierten Akademie war ihm übertragen worden - Inanspruchnahme, die seiner Bedeutung entsprach. Kaum hatte er die Wohnung zurückerhalten, das Atelier, stellte er sich aufs neue dem großen Format und malte sich in der ihm eigenen Manier Buchenwald von der Seele. Die Folge: In der ersten Ausstellung nach der Befreiung wurde sein Werk an hervorragender Stelle gezeigt. Nun ist es irgendwo magaziniert. Er kann es nicht fassen: All das, kaum dass es begann, ist zuende.